18 Feb

Süddeutsche Zeitung 2022

Sophia (Kristin Hunold) ist überzeugt: Halbe Sachen funk­tion­ieren nicht.(Foto: Ben Knabe/HR)

Safiye Can erzählt im Hör­spiel “Das Halb­halbe und das Ganz­ganze” von Iden­tität­skrisen, die der recht­sex­trem­istis­che Anschlag bei Men­schen mit Migra­tions­geschichte aus­gelöst hat.

Von Ste­fan Fischer

 

Sie nen­nt ihn Friedrich. So deutsch ist er dann doch. Seinen richti­gen Namen erfährt man nicht. Aber so viel: Seine Eltern stam­men aus der Türkei. Und sagen zu ihrem Sohn defin­i­tiv nicht Friedrich. Nur sie nen­nt ihn so — sie, die lange Zeit selb­st keinen Namen trägt in dem Hör­spiel Das Halb­halbe und das Ganz­ganze und irgend­wann dann doch Sophia heißt. Ist sie ein Alter Ego der Autorin Safiye Can, wie die Ver­wandtschaft der Vor­na­men wom­öglich ver­muten lässt?

Ein­deutige Antworten gibt es nicht in dieser Geschichte, kann es nicht geben. Die einzige gesicherte Erken­nt­nis der bei­den miteinan­der eng befre­un­de­ten, aber mut­maßlich nicht liierten Fig­uren ist: Das ras­sis­tisch motivierte Atten­tat in Hanau vor zwei Jahren, bei dem neun Men­schen ermordet wor­den sind, hat die Frage nach der eige­nen Iden­tität bei Men­schen mit ein­er Migra­tions­geschichte mas­siv zuge­spitzt. Sie war schon zuvor nicht ein­fach zu beantworten.

Ein­gangs stre­it­en sich Friedrich und Sophia darüber, ob sie nun halb deutsch und halb das jew­eils andere sind — so Friedrichs Posi­tion. Oder bei­des jew­eils ganz, worauf Sophia behar­rt. Friedrichs Hal­tung würde ja bedeuten, argu­men­tiert Sophia, dass er sich nur halb freue, wenn Deutsch­land im Fußball gewinne. Wie solle das bitte schön funk­tion­ieren? Man könne, hält Friedrich ihr ent­ge­gen, eben nicht zweimal ein Ganzes sein.

 

Aber Iden­tität ist keine math­e­ma­tis­che Gle­ichung. Und schon gar nicht kommt man zu ein­er Lösung, wenn man sich im Fall des Atten­tats von Hanau der Gruppe der Opfer genau­so zurech­net wie der Gruppe, aus der der Täter stammt, und ver­suchen wollte, das gegeneinan­der aufzurech­nen oder in ein Ver­hält­nis zueinan­der zu set­zen. Man kann sich ver­mut­lich nur daran reiben oder kapitulieren.

Safiye Can, die tscherkessis­che Vor­fahren hat, set­zt sich auf eine sehr kluge, sehr anschauliche Weise mit Iden­titäts­fra­gen auseinan­der in ihrem Hör­spiel, das Andrea Geißler insze­niert hat mit Kristin Alia Hunold und Murat Diken­ci in den Haup­trollen. Vor allem über­frachtet sie ihre Fig­uren nicht, macht Friedrich und Sophia nicht zu Stel­lvertretern für zu viele erden­kliche Posi­tio­nen. Son­dern bil­ligt bei­den eine Geschichte zu, die ihre jew­eils ure­igene ist und in der auch ver­meintliche Neben­säch­lichkeit­en eine gravierende Rolle spie­len. Safiye Can nötigt Friedrich und Sophia außer­dem nicht, irgendwelche Kom­pro­misse einzuge­hen. Weshalb sich in Das Halb­halbe und das Ganz­ganze auch eine ganze Menge Wut entlädt.

Das Halb­halbe und das Ganz­ganze, HR2, 20. Feb­ru­ar 2022, 22 Uhr.

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