Orhan Veli/ Gedichte

Orhan Veli_Übersetzung_Safiye Can_Türkische Dichter

 

 

 

 

 

 

Orhan Veli
13. April 1914, Istan­bul — 14. Novem­ber 1950, ebenda

 

Fürs Vater­land

Wir tat­en so viel für dieses Land!
Einige starben,
Andere hiel­ten Reden.

           Orhan Veli

Gestel­lungs­be­fehl

Blondes Kind, das in den Krieg zieht!
Kehre so schön zurück wie du gehst;
Der Meeres­duft auf deinen Lippen,
Das Salz an deinen Wimpern;
Ach, blondes Kind, das in den Krieg zieht!

Orhan Veli Kanik_literarische Übersetzung Türkisch-Deutsch_Safiye CanUmson­st

Umson­st leben wir, umsonst,
Die Luft ist umson­st, die Wolken umsonst,
Berge und Bäche sind umsonst,
Regen und Matsch umsonst,
Die Außen­fas­sade der Kraftfahrzeuge,
Die Türen der Filmtheater,
Die Schaufen­ster sind umsonst,
Brot und Käse nicht, jedoch
Schales Wass­er ist umsonst,
Die Frei­heit für den Preis eines Kopfes,
Das Sklaven­da­sein umsonst,
Umson­st leben wir, umsonst.

 

Auf der Straße

Wenn ich auf der Straße gehe
Und bemerke, dass ich vor mich hin lächle
Muss ich daran denken
Dass sie mich für ver­rückt halten
Und muss lächeln.

(Foto: Sitzbank in Istanbul)

Bayram

Ihr Raben, verpetzt mich ja nicht bei meiner Mutter!
Heute, sobald die Ramadan-Böller krachen
Werde ich von Zuhause fortlaufen
Und zum Kriegsministerium rennen.
Wenn ihr schweigt, kaufe ich euch Dauerlutscher,
Ich kaufe euch Sesamringe, auch Bonbons kaufe ich euch,
Und setze euch in die Schiffsschaukel, ihr Raben,
Ich gebe euch all meine Murmeln.
Ihr Raben, verpetzt mich bitte nicht bei meiner Mutter!
Gedichte: Orhan Veli Kanık
Übersetzungen: © Safiye Can, 2005/2013

Orhan Veli Kanık (geb. 13. April 1914 in Istan­bul, gest. 14. Novem­ber 1950) war ein türkisch­er Dichter und Grün­dungsmit­glied der Dichter­be­we­gung „Garip“ (Frem­dar­tig).

Gemein­sam mit seinen Jugend­fre­un­den, den türkischen Schrift­stellern Oktay Rifat (Anday) und Melih Cevdet, gilt er als der Erneuer­er der türkischen Poe­sie, die er beab­sichtigte von den „einen­gen­den“ Ele­menten der türkisch-osman­is­chen Poe­sie zu befreien. Seine Gedichte sind geprägt von der „Sprache des ein­fachen Volkes“, teils im Straßen­jar­gon geschrieben, und wirken sowohl destruk­tiv als auch auf­bauend. Bee­in­flusst und inspiri­ert wurde Orhan Veli von den franzö­sis­chen Dichtern Baude­laire, Ver­laine und Rim­baud. Wie jed­er Visionär musste auch Orhan Veli anfänglich viel Spott und Kri­tik ertra­gen, doch er blieb hart­näck­ig, und legte sich nie auf eine bes­timmte Stil­rich­tung fest. Den größten Teil sein­er Jugend ver­brachte er in Ankara, weil seinem Vater Mehmet Veli die Stelle als Leit­er des Sym­phonieorch­esters in Ankara ange­boten wurde. Dort lernte er auch seine späteren Fre­unde Oktay Rifat und Melih Cevdet ken­nen. Nach seinem Schu­la­b­schluss in Ankara zog er nach Istan­bul und nahm das Studi­um der Philoso­phie an der Istan­buler Uni­ver­sität auf. Kurze Zeit später jedoch brach er das Studi­um ab und kehrte wieder zurück nach Ankara. Bis zu sein­er Ein­beru­fung in den Mil­itär­di­enst arbeit­ete er als Beamter für die Postver­wal­tung. Nach Been­den des Mil­itär­di­en­stes arbeit­ete er zwei Jahre als Über­set­zer im Bil­dungsmin­is­teri­um, kündigte aber im Jahre 1947, da er nicht länger in einem „anti­demokratis­chen Kli­ma“ arbeit­en wollte. In den Jahren 1949–1950 grün­dete er die zwei­seit­ige Lit­er­aturzeitschrift „Yaprak“ (Blatt), musste sie aber nach nur 28 Aus­gaben ein­stellen, da die Zeitschrift wenig Aus­sicht auf Erfolg hat­te. Ent­täuscht zog er noch im sel­ben Jahr zurück nach Istan­bul. Während eines ein­wöchi­gen Aufen­thalts in Ankara stürzte er bei einem nächtlichen Spazier­gang in eine ungesicherte Bau­grube und ver­starb zwei Tage später, am 14. Novem­ber 1950, an ein­er Hirn­blu­tung in Istanbul. 

1941 veröf­fentlichte Orhan Veli sein erstes Buch “Garip”, aus diesem Buchti­tel gewann die neue lit­er­arische Strö­mung ihren Namen. Die Dichter­be­we­gung “Garip” (zu Deutsch: Fremdartig/Sonderbar/Eigenartig) rev­o­lu­tion­ierte die türkische Lyrik. Orhan Veli starb im Alter von nur 36 Jahren. Er zählt zu den beliebtesten und pop­ulärsten Dichtern der Türkei. Es ist nicht auszu­malen, wie viele her­vor­ra­gende Gedichte er hätte noch schreiben kön­nen und wie viel uns an mitreißen­der Lyrik ent­gan­gen ist. Seine gesam­melten Werke wur­den 1987 vom Ver­lag “ADAM Yayın­ları” auf ihre Richtigkeit/Druckfehler u.ä. hin geprüft und neu ver­legt; das Werk hat sich (gerech­net als: 1. Auflage 1987) um ein vielfach­es verkauft. In manchen Jahren mussten bis zu vier Neuau­fla­gen gedruckt wer­den. Das mir vor­liegende Buch vom Ver­lag “ADAM Yayın­ları” (siehe Foto) ist die 54. Auflage, Jan­u­ar 1998.

Safiye Can, April 2013

Safiye Can übersetzung türkische dichter ORHAN VELI

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum 100jährigen Geburt­stag von Orhan Veli am 13.4.2014, sein bekan­ntestes Gedicht:

Ich höre Istanbul

Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen:
Zuerst weht ein san­fter Wind;
Leicht schwanken die Blät­ter an den Bäumen;
In der Ferne, in weit­er Ferne
Unaufhör­lich die Glöckchen der Wasserverkäufer;
Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen.

Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen:
Während ich denke, die Vögel fliegen vorbei;
Fliegt eine ganze Schar, hoch hin­aus, Schrei für Schrei.
Die Fis­ch­er holen großen Net­ze ein;
Die Füße ein­er Frau berühren das Wasser;
Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen.

Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen;
Kühl, kühl der Große Basar;
Kun­ter­bunt Mahmutpaşa;
Voller Tauben die Höfe.
Vom Dock her hallt es Hammerschläge,
Im her­rlichen Früh­lingswind liegt Schweiß;
Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen.

Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen;
In meinem Kopf der Rausch ver­gan­gener Feste,
Eine Strandvil­la mit halb­dun­klen Bootshäusern
Ste­ht im abklin­gen­den Geheul der Südwestwinde;
Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen.

Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen;
Eine attrak­tive Frau stolziert auf dem Gehsteig;
Schim­p­worte, Lieder, Gepfeife, Anmachsprüche.
Etwas fällt aus ihrer Hand auf den Boden;
Es müsste sich um eine Rose handeln;
Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen.

Ich höre Istan­bul mit geschlosse­nen Augen;
Ein Vogel zap­pelt an deinen Hängen;
Ich weiß, ob deine Stirn warm oder kalt ist;
Ich weiß, ob deine Lip­pen feucht oder trock­en sind;
Weiß geht der Mond hin­ter Pinien­bäu­men auf;
An deinem Herz­schlag erkenne ich;
Ich höre Istanbul.

Gedicht: Orhan Veli Kanık
Übersetzung: © Safiye Can, letzte Fassung vom 13.4.2014

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