Cemal Süreya/ Gedichte
Cemal Süreya
(1931, Erzincan — 09.01.1990, Istanbul)
Ist ihr Vater schon mal gestorben?
Ist ihr Vater schon mal gestorben?
Meiner starb einmal, ich wurde blind
Sie wuschen ihn, nahmen ihn mit
Das hab ich von Vater nicht erwartet
Ich wurde blind
Waren Sie schon mal in einem Hamam?
Ich ging hinein, eine Glühbirne zerplatzte
Eines meiner Augen erlosch, ich wurde blind
Über uns ein Wolkenhimmel, rund
In die Länge hin blau, ich wurde blind
Und die Hamamfliesen, diese Fliesen
Blitzeblank waren sie, wie Spiegel
Meine Gesichtshälfte sah ich darin
Es war wie etwas, wie etwas Böses
Das hab ich von meinem Gesicht
Nicht erwartet, ich wurde blind
Haben Sie schon mal geweint
Im eingeseiften Zustand?
(1953)
aus dem Gedichtband: “Sevda Sözleri” (Bütün yapıtları, Şiirler), Verlag YKY, 30. Auflage, Istanbul, 2007, S. 26
ISBN: 978−975−363−456−0
Gedicht: Cemal Süreya
Übersetzung: © Safiye Can, 2010/2013 (Erstübersetzung des Gedichtes ins Deutsche)
Kurz
Das Leben ist kurz,
Die Vögel ziehen vorbei.
Cemal Süreya
Das Foto
An der Haltestelle drei Menschen
Der Mann die Frau das Kind
Die Hände des Mannes in den Hosentaschen
Die Frau hält das Kind an der Hand
Der Mann ist betrübt
Betrübt wie betrübte Lieder
Die Frau ist schön
Schön wie schöne Erinnerungen
Das Kind
Betrübt wie schöne Erinnerungen
Schön wie betrübte Lieder.
Gedicht: Cemal Süreya
Übersetzung: © Safiye Can, 2011 (Soweit informiert, Erstübersetzung des Gedichtes ins Deutsche)
Lieben, welch langes Wort.
Cemal Süreya
Cemal Süreya (geb. 1931 in Erzincan; gest. 9. Januar 1990) ist ein bedeutender und populärer türkischer Dichter und Schriftsteller. Er gilt als der wichtigste Vertreter der „Zweiten Neuen“, einer literarischen Strömung der modernen türkischen Dichtung.
Als Vertreter der „Zweiten Neuen“ wurde Süreyas erstes Gedicht „Şarkısı Beyaz“ im Jahre 1953 in der Zeitschrift „Mülkiye“ veröffentlicht. Die „Zweite Neue“ bevorzugt einen abstrakten Sprachgebrauch und gilt als Gegenströmung zur „Garip-Bewegung“ (vgl. Orhan Veli www.safiyecan.de/orhan-veli-gedichte). Cemal Süreya, der die traditionelle Dichtung ablehnte, war ein Dichter, der mit immensem Wortschatz, neuen Wortschöpfungen und seinem Idiolekt hervorstach. Seine Gedichte handeln von der Einsamkeit des Individuums, dem Tod, aber auch von der Liebe und der Sexualität. Sie sind geprägt von Feingefühl und intensiven Bildern, die eine zutiefst aufwühlende und bestechende Wirkung haben können.
Über Cemal Süreya sind viele Geschichten im Umlauf. Eine dieser Geschichten handelt vom Ursprung und der interessanten Verzierung seiner Unterschrift. Die mir am glaubhaftesten erscheinende ist jene, die vom Dichter Sunay Akın erzählt wurde. Süreyas Unterschrift ist die Darstellung seines eigenen Seitenprofils, angefangen von den Augenbrauen ©, den Augen (e), der übertrieben groß dargestellten Nase (m) bis zu den Lippen und der Zigarette (die Ü‑Striche), die er oft zwischen den Lippen trug. Kinn und Oberkörper sind auch deutlich zu erkennen, aber nur, wenn man die Unterschrift um 90 Grad dreht. Ob sich der Schriftsteller selbst darstellen wollte oder bloß allgemein ein Portrait, kann ich nicht versichern. Um die Zeichnung besser zu erkennen, kann man die Unterschrift anklicken und sich ein wenig zurück lehnen.
Auf solche verspielten Ideen kommen nur die besten Künstler. Derlei Kreativität und Phantasie sind der Grund, weswegen man sie einfach küssen möchte, weswegen sie nicht sterben.
Safiye Can, 02.05.2013
Der erste Lyriband des großartigen Dichters Cemal Süreya “Üvercinka”, signiert, 2. Auflage, Febr. 1966.
Danke für dieses wertvolle Geschenk. Samsun, 24.8.2014