16 Feb

Offenbach Post 2022

Offen­bach Post
„Auch Ras­sis­mus ist eine Pandemie“
Offen­bach­er Lyrik­erin Safiye Can ver­ar­beit­et Hanauer Anschlag in einem Hörspiel
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In ihrem Hör­spiel ver­mis­cht Safiye Can eine Erzäh­lung mit O‑Tönen von Opferange­höri­gen und Musik aus Hanau.
 

Offenbach/Hanau – 19. Feb­ru­ar 2020: Der Tag, an dem der rechte Hass in Hanau wütet. Auch im Leben der Fre­unde Sophia und Friedrich verän­dert die Tat alles. Um die bei­den jun­gen Erwach­se­nen mit Migra­tionsh­in­ter­grund dreht sich das Hör­spiel „Das Halb­halbe und das Ganz­ganze“, das zum zweit­en Jahrestag des Hanauer Anschlags im Hes­sis­chen Rund­funk aus­ges­trahlt wird. Im Gespräch erzählt die Offen­bach­er Autorin und Lyrik­erin Safiye Can, was ihr erstes Hör­spiel über Ras­sis­mus ver­rät und welche Wun­den das Atten­tat hin­ter­lassen hat.

Die Charak­tere Ihrer Erzäh­lung heißen Sophia und Friedrich – das klingt erst mal nicht nach Migra­tionsh­in­ter­grund. Möcht­en Sie Ihr Pub­likum damit irritieren?

 

Es sind Spitz­na­men, die sich die bei­den gegen­seit­ig gegeben haben. Sie sind beste Fre­unde und lern­ten sich ken­nen, als sie über Niet­zsches Werke kor­re­spondierten, deshalb der Name Friedrich. Es kön­nten aber auch ganz andere Namen sein; sie sind nur Platzhal­ter für Men­schen, die uns sym­pa­thisch sind, die uns nicht fremd sind. Die Erzäh­lung wird getra­gen von ein­er Leichtigkeit, von Witz und Ironie. Das Pub­likum soll lächeln, lachen, schmun­zeln. Im Ver­lauf der Geschichte sind die bei­den einem ver­traut, sie sind keine Fremd­kör­p­er. Genau­so, wie die Men­schen, die 2020 in Hanau ster­ben mussten, keine Frem­den waren.

Friedrich fühlt sich „halb­halb“ – halb deutsch, halb türkisch. Sophia, die in Offen­bach lebt, „ganz­ganz“ – ganz deutsch, ganz türkisch. Was ist der Unterschied?

Zum einen ist es ein Wort­spiel, das inter­essiert mich als Dich­terin sehr. Es geht um Veror­tung, um Iden­tität, die Heimat­frage. Wo gehöre ich dazu, wo nicht? Das sind typ­is­che Fra­gen, die sich Men­schen mit Migra­tionsh­in­ter­grund fortwährend stellen. In der Fam­i­lie, im Fre­un­deskreis, sie schwin­gen immer mit. Oder sie kom­men von außen: Woher man denn ursprünglich sei? Halb­halb hört sich natür­lich nicht so vol­lkom­men an. Ganz wiederum ist etwas, das abgeschlossen ist, voll­ständig, es fehlt nichts. Es ist eher die pos­i­tive Betra­ch­tungsweise; dass ich bei­de Kul­turen als Bere­icherung in mir aufnehme und mich nicht hin- und herg­eris­sen fühle.

 

Hör­spiel „Das Halb­halbe und das Ganzganze“

Das Hör­spiel „Das Halb­halbe und das Ganz­ganze“ von Safiye Can wird am 20. Feb­ru­ar 2022, um 22 Uhr, auf hr2-kul­tur gesendet und ist ab 19. Feb­ru­ar 2022 in der ARD Audio­thek abrufbar.

Der Sound­track von “Das Halb­halbe und das Ganz­ganze” stammt von Kün­st­lerin­nen und Kün­stler aus der Hanauer Hip-Hop-Szene, die sich in ihren Songs klar gegen Ras­sis­mus posi­tion­ieren: Aksu, Azzi Memo (feat. Rola), Breaks Mics & Stylez, BRKN, Dein 16er für Hanau: Mar­shall, Kâzım Koyun­cu, Mor­gen­shtern, Tarkan u.a.

Die bei­den sind im Grunde bilder­buch­in­te­gri­ert: Sie studieren, hören Klas­sik, Friedrich guckt gerne Fußball, kell­nert in ein­er Kneipe und trinkt auch selb­st Alko­hol. Sie ste­hen mit bei­den Beinen in der deutschen Gesellschaft. Oder täuscht das?

Sie sind bei­de in Deutsch­land geboren und sozial­isiert. Sie führen ein Leben, das mir selb­st nicht fremd ist. Eigentlich gibt es keinen Unter­schied zu ihren biodeutschen Fre­un­den. Sie disku­tieren über Philoso­phie, lesen Camus und Sartre, inter­essieren sich für Freud. Damit wollte ich aber natür­lich auch bes­timmte Klis­chee­bilder spren­gen, die lei­der immer noch existieren. Dass Migranten nur Rap hören, nicht studieren und kein Inter­esse an Shake­speare-Über­set­zun­gen haben.

Kaum vorstell­bar, dass diese superangepassten jun­gen Erwach­se­nen Ras­sis­mus erleben müssen. Jeden­falls; im Hör­spiel wird es nicht thematisiert.

Im Hör­spiel ist es kein The­ma. Aber ich weiß, dass Friedrich sehr oft zur Kon­trolle ange­hal­ten wird, wenn er mit dem Auto unter­wegs ist und dass er am Flughafen schär­fer kon­trol­liert wird; nur, weil er aussieht wie er aussieht. Das sind aber Dinge, die ich in der Geschichte nicht erwähne.

Safiye Can — Botschaf­terin der Poesie

Safiye Can studierte Philoso­phie, Psy­cho­analyse und Jura an der Goethe-Uni­ver­sität in Frank­furt. Sie ist Autorin und Dich­terin und engagiert sich seit 2004 mit Schreib­w­erk­stät­ten für junge Men­schen als Botschaf­terin der Poe­sie. Unter anderem wurde sie 2016 mit dem Else-Lasker-Schüler-Lyrikpreis geehrt. Die Kurzgeschichte „Das Halb­halbe und das Ganz­ganze“, die als Hör­spiel-Vor­lage diente, erschien 2014. Im ver­gan­genen Jahr wurde ihr Lyrik­band „Poe­sie und Pan­demie“ pub­liziert. Safiye Can hat tscherkessis­che Vor­fahren. Sie lebt in Offenbach.

Während wir der Sto­ry von Sophia und Friedrich fol­gen, wer­den immer wieder Auf­nah­men einge­spielt, in denen die Ange­höri­gen der ermorde­ten Opfer des Hanauer Anschlags zu Wort kom­men. Diese Ein­spiel­er stam­men aus einem früheren Radiofea­ture. Wie passen die Orig­inaltöne mit der Fik­tion zusammen?

Die Geschichte „Das Halb­halbe und das Ganz­ganze“ ist ja eine Erzäh­lung aus dem Jahr 2014, als das Atten­tat in Hanau noch nicht passiert war. Aus dieser Geschichte ein Hör­spiel zu machen, war für mich die Gele­gen­heit, dieses furcht­bare Erleb­nis mitzu­ver­ar­beit­en. Das war eine Herzen­san­gele­gen­heit für mich. Während die Geschichte von Sophia und Friedrich läuft, tauchen immer wieder kurze Orig­i­nalauf­nah­men aus dem Fea­ture auf, und am Anfang weiß man gar nicht; wozu gehören die denn jet­zt? Das Prob­lem des recht­en Ter­rors schwingt immer mit in der Geschichte, schon bevor der Recht­ster­ror im Hanauer Anschlag auf bru­tal­ste Weise sicht­bar wird.

Das heißt, das Unheil ist die ganze Zeit schon da, es existiert schon lange vor dem Atten­tat in Hanau?

Ja. Ich lebe in Offen­bach, und ich bin in Offen­bach geboren. Bis Hanau sind es nur ein paar Hal­testellen. Mit dem Atten­tat war es so, wie es mir damals auch mit Solin­gen erg­ing. Es war plöt­zlich nicht mehr mein bekan­ntes Hanau, son­dern auf ein­mal wurde die Stadt zum Schau­platz eines großen, gesellschaftlichen Prob­lems, das es schon sehr lange gibt. Ich hat­te in einem früheren Lyrik­band ein Gedicht geschrieben, das „Solin­gen 1993“ heißt. Es geht so: Immer wenn ich Solin­gen höre / bren­nt ein Haus vor meinen Augen. Und so ähn­lich ist es jet­zt mit Hanau. Wenn eine solche Tat des Recht­ster­rors geschieht, dann bist du als Men­sch mit Migra­tionsh­in­ter­grund auf ein­mal ein Fremd­kör­p­er. Diese Erfahrung machen auch die bei­den Charak­tere in der Geschichte: dass sie für einen Teil der Gesellschaft nicht dazuge­hören, dass sie für diese Leute vielle­icht nie dazuge­hören werden.

Sophia erfährt im Radio von dem Atten­tat. Was verän­dert sich in diesem Augen­blick für sie und ihren Freund?

Die Leichtigkeit zer­schellt, als sie vom Atten­tat in Hanau hören. Zu Beginn der Geschichte geht es um Iden­titäts­fra­gen und genau­so endet sie auch, aber dies­mal haben diese Fra­gen mehr Wucht, sie sind eben nicht mehr von Unbe­fan­gen­heit getra­gen. Die bei­den müssen ver­suchen, damit umzuge­hen, als sie mit der Tat kon­fron­tiert wer­den, an dem Tag, als das Atten­tat in ihr Leben bricht, wie es in mein, unser aller Leben einge­brochen ist.

Friedrich schreibt daraufhin das Gedicht „Der Einzeltäter“. Ist es über­haupt möglich, einen ter­ror­is­tis­chen Anschlag in Poe­sie zu verwandeln?

Der Poe­sie sind keine Gren­zen geset­zt, sie ist mit all ihren Mit­teln ein wichtiges Instru­ment für uns Men­schen, um Türen aufzubrechen, Mauern einzustürzen, Dinge zu ver­ar­beit­en. Das Gedicht stammt aus meinem aktuellen Lyrik­band „Poe­sie und Pan­demie“. Er begin­nt mit dem Gedicht „Einzeltäter“, weil der Ras­sis­mus wie Covid-19 auch eine Pan­demie ist. Die ganze Welt ist verseucht vom Ras­sis­mus. Nicht nur Deutsch­land. Dazu gehören auch die Diskri­m­inierung von Frauen und der Sex­is­mus. Ich kon­nte lange Zeit nicht die richti­gen Worte find­en für das, was in Hanau geschehen ist. Und das Gedicht ist meine Antwort, ohne dass Hanau als Wort darin vorkommt.

Einzeltäter

Ein Einzeltäter
nur ein Einzeltäter
ein Einzeltäter nur
noch ein Einzeltäter
noch ein Einzeltäter
und noch ein Einzeltäter
noch ein Einzeltäter
und noch ein Einzeltäter
noch ein Einzeltäter
und noch ein Einzeltäter
noch ein Einzeltäter
und noch ein Einzeltäter
nur ein Einzeltäter noch
nur noch ein Einzeltäter
und noch ein aller
let­zter Einzeltäter
nur ein­er noch
wirklich
dann wird alles
wieder gut.
(Safiye Can)

Aus: Safiye Can: Poe­sie und Pan­demie. Gedichte. Wall­stein Ver­lag 2021, 96 Seit­en, 18 Euro. 

In dem Gedicht geht es darum, dass die Gesellschaft das Prob­lem nicht als Ganzes anfasst, son­dern immer nur Einzeltäter hin­ter einem recht­ster­ror­is­tis­chen Anschlag wie in Hanau sehen will.

Es ist so, dass wir als Gesellschaft nicht bere­it sind, uns mit dem struk­turellen Ras­sis­mus auseinan­derzuset­zen, der den Nährbo­den für Recht­ster­ror­is­mus liefert. Wir sind nicht bere­it, rechte Net­zw­erke in den Sicher­heits­be­hör­den und in allen Bere­ichen der Gesellschaft zu sehen und diese zu zer­schla­gen. Wir tolerieren, dass recht­spop­ulis­tis­che Ansicht­en zunehmend salon­fähig wer­den und dass bekan­nte Tageszeitun­gen oder Medi­en­grup­pen mit ihren ras­sis­tis­chen Berichter­stat­tun­gen maßge­blich dazu beitra­gen. Und wir schreien nicht auf, wenn Akten des NSU-Prozess­es für Jahrzehnte unter Ver­schluss gehal­ten wer­den, nur um die Iden­tität frag­würdi­ger V‑Männer zu schützen. All das würde näm­lich ein hohes Maß an Aufrichtigkeit und die Fähigkeit zur Selb­stkri­tik erfordern. Der Staat, die Poli­tik und die Gesellschaft müssten sich viele Fehler eingeste­hen. Das ist aber unbe­quem und schmerzhaft. Viel ein­fach­er ist es, sich der Mär vom Einzeltäter zu bedienen.

Wie haben Sie von dem Anschlag erfahren?

Ich habe zuerst über die Sozialen Medi­en davon gehört. Es war erst mal die Rede von einem Amok­lauf, aber als dann gesagt wurde, dass er in ein­er Shisha-Bar war, war mir klar, dass es rechter Ter­ror sein musste. Es fol­gte ein Chaos an Gefühlen. Da war ganz viel Wut auf die Poli­tik, auf die Gesellschaft, da war Ohn­macht. Und Trauer, ganz viel Trauer. All das in voller Ladung. Es kam alles wieder hoch: Solin­gen, Mölln, die NSU-Mord­serie. Es ist unglaublich, dass immer noch Men­schen ster­ben müssen, nur weil sie einen Migra­tionsh­in­ter­grund haben. Schlussendlich habe ich geweint. Und Sie merken: Die Fas­sungslosigkeit ist bis heute nicht weniger geworden.

Das Gespräch führte Lisa Berins