7 Aug

Buchbesprechung “Das Halbhalbe und das Ganzganze”

07.08.2014

Buchbe­sprechung über mein Prosade­büt, die Kurzgeschichte “Das Halb­halbe und das Ganz­ganze” von Michael Star­cke. Zum Link auf Lyrik­welt!

 

Das Halb­halbe und das Ganz­ganze.
Kurzgeschichte von Safiye Can (2014, Lit­er­atur-Quick­ie).
Besprechung von Michael Star­cke für LYRIKwelt.de, August 2014:

Hab dich ver­misst. Und alleine rauchen ist blöd!“
Safiye Can, der mit ihrem starken Lyrik­band „Rose und Nachti­gall“ ein großes Debüt in der Lit­er­atur­welt gelang, kann auch, um mich salopp auszu­drück­en, Prosa.

Ein näch­stes, wie ich denke, gelun­ge­nes Debüt in der Welt der Erzäh­ler, das mich als Leser beschäftigt und mich auf fast magis­che Weise ver­leit­et, die als Kurzgeschichte deklar­i­erte Erzäh­lung „Das Halb­halbe und das Ganz­ganze“ immer neu und anders zu lesen und zu hin­ter­fra­gen und zu interpretieren.

Es geht um zwei junge Men­schen, eine Frau und einen Mann, die ein Kun­stevent vor drei oder vier Jahren zusam­men­führte und die seit­dem ver­suchen, ihre par­al­lel ver­laufend­en Lebensläufe gemein­sam zu ver­ste­hen und ihren Stan­dort im Leben zu analysieren. Das geschieht, von Safiye Can raf­fin­ert gemacht, in unter­schiedlichen Kapiteln, deren Über­schriften schon auf das jew­eilige The­ma hin­weisen, etwa „Das Ken­nen­ler­nen oder Dos­to­jew­s­ki, Tol­stoi und Puschkin“ oder „Kaf­feesat­zle­sen“, „Der Ring“, „Die Liebe“ oder „Gisela und der Exis­ten­zial­is­mus“. Das Ver­hält­nis der bei­den zu einan­der ist vielle­icht die Geschichte ein­er aufkeimenden Fre­und­schaft in Fort­set­zung oder auch eine Liebesgeschichte in der Schwebe, deren Ende offenbleibt.

Es geht um Friedrich, einen Mann, der eigentlich einen anderen Namen trägt, aber von Sofia, der Frau, Friedrich genan­nt wird und es ein­vernehm­lich hin­nimmt. Sofia, man merkt es schnell, trägt auto­bi­ografis­che Züge der Dich­terin Safiye Can, die, wie hin­reißend, als Über­set­zerin eines Gedicht­es von Naz­im Hik­met „Wie Kerem“ zitiert und geoutet wird und mit diesem Schachzug den Kreis zu ihren Gedicht­en schließt.

Beim Lesen des Erzählti­tels musste ich unwillkür­lich an die Wutrede des Fußbal­llehrers Tra­p­at­toni denken, ent­deck­te aber während der Lek­türe die poli­tis­che Dimen­sion, die trotz allen Ulks ern­sthaft hin­ter dem Titel „Das Halb­halbe und das Ganz­ganze“ steckt. Denn bei­de Pro­tag­o­nis­ten wur­den in Deutsch­land geboren, haben aber türkische Eltern. So ver­ste­ht sich Friedrich als halb­halb, Sofia aber als ganz­ganz trotz ihrer Abstam­mung. Aber sie ger­at­en nicht in Stre­it deswe­gen, vielle­icht weil Sofia ihren Anfangssatz vergessen hat.

In vie­len Kapiteln der Erzäh­lung kommt mir Friedrich wie die beste männliche Fre­undin Sofias vor, eben­so wie Sofia der beste weib­liche Fre­und zu wer­den scheint, weil bis auf eine Umar­mung die Kör­per­lichkeit, die jede Liebe vol­len­det, zwis­chen den bei­den aus­ge­blendet bleibt.

Das mag ein dra­matur­gis­ch­er Trick sein, die den Umgang der bei­den miteinan­der und ihren Gedanke­naus­tausch offen­er und ehrlich­er macht, frei von Korruption.

Wir erfahren viel vom Denken und Fühlen ein­er Gen­er­a­tion der zwanzig bis vierzig Jähri­gen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und den Hin­ter­grün­den des Hier­seins des Hier­seins und Lebens in Deutsch­land, als halb­halb oder ganz­ganz. Bei­de Pro­tag­o­nis­ten haben ihr Studi­um abge­brochen, wollen unangepasst leben, sind junge Men­schen im Auf­bruch, geprägt von Tra­di­tio­nen, die sich langsam aufzulösen scheinen in ihren Köpfen, obwohl sie nicht völ­lig von ihnen lassen können.

So wird ein türkisch­er Selb­st­mörder, Friedrichs bester Fre­und, nicht in sein­er Heimat, der Türkei begraben, son­dern in deutschem Boden. Ein Hod­cha ist am Grab dabei, der in sein­er Rede klagt, dass Selb­st­mord Sünde sei. Bei­de Pro­tag­o­nis­ten sind gebildet und, gut unter­richtet, unter­wegs in den Weltkul­turen, haben Tol­stoi, Dos­to­jew­s­ki, Niet­zsche, Sartre, Beck­ett und Camus gele­sen, lieben Kino, Klas­sis­che Musik und das Pink Floyd-Album „A Momen­tary Lapse of Rea­son“. Sie machen Selb­stver­suche mit Alko­hol, kon­sum­ieren Mehl als Koks und Friedrich lässt sich für die Hochzeit eines Fre­un­des, ein Halb­hal­ber – halb deutsch und halb Armenier‑, einen Kilt anfer­ti­gen, während Sofia ihm ein Kurzmit­teilung schickt: „Hab dich ver­misst. Und alleine rauchen ist blöd!“ 

Safiye Cans Erzäh­lung, ist witzig, lakonisch, aber auch inten­siv, dass trotz aller Leichtigkeit ihrer erzäh­lerischen Sprache der Leser innehält und erst ein­mal, nach­den­klich gewor­den, dur­chat­men muss.

Und let­z­tendlich, komme ich auf den Anfang zurück, ist diese Erzäh­lung doch auch eine san­fte und zärtliche Liebesgeschichte.

- Was ist mit „Ich liebe dich“?, fragt er. – Ach, „Ich liebe dich“ ist viel zu über­w­ertet, sage ich. Außer­dem, „Ich liebe dich“, sagt man nicht, „Ich liebe Dich“ zeigt man.

- Spricht das deine deutsche oder deine türkische Seite, fragt er.

- Meine Men­schen­seite, antworte ich. Und ich weiß, dass Friedrich weiß, dass es in der Liebe keine Seite gibt. Kein Alter, sage ich, keine Herkun­ft, keine Logik und keine Podiumsdiskussionen.“

Wie gesagt, Safiye Can kann auch Prosa und wie!