9 Okt

Buchbesprechung Feuilletonscout 2017

9.10.2017, Rezen­sion “Kinder der ver­lore­nen Gesellschaft” von Carsten Schmidt
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Rezen­sion von Carsten Schmidt

Safiye Can trägt die Nachti­gall als passendes, roman­tisch-kraftvolles Marken­ze­ichen mit sich. Ihr Slo­gan „Lest Gedichte“ prangt auf den Plakat­en ihrer Schreib­work­shops, bei Gast­sem­inaren und vie­len Lesun­gen der begabten, umtriebi­gen Offen­bacherin, die lei­der viel zu wenig außer­halb der Main­re­gion liest.

Nach den Bän­den „Rose & Nachti­gall“ und „Diese Hal­testelle hab ich mir gemacht“ beim Größen­wahn Ver­lag nimmt sie nun beim drit­ten Gedicht­band – „Kinder der ver­lore­nen Gesellschaft“ – der Göt­tinger Wall­stein Ver­lag unter seine Fit­tiche, ein son­st eher im tra­di­tionell-wis­senschaftlichen Bere­ich renom­miertes Haus.

In „Die Kinder der ver­lore­nen Gesellschaft“ bespricht, beschreibt, bedenkt und beträumt Safiye Can Möglichkeit­en, Unmöglichkeit­en und Entschei­dungs­gren­zen. Als Leser ist man wie bei den früheren Bän­den gefes­selt und taucht hinein in die war­men, rauen, bizarren, märchen­haften oder konkret-trüben Stim­mungen und Atmo­sphären. In diesem Band schwanken die Stim­mungen zwis­chen poli­tis­ch­er Empörung, ergrif­f­en­er Trau­rigkeit und unbändi­ger, jugendlich­er Freude.

Im Spiel von Fremd- und Selb­st­wahrnehmung schreibt sie:

Ich wun­dere mich
wieso heute alle Men­schen lächeln
sie lächeln in der Innenstadt
sie lächeln an der Hauptwache
sie lächeln beim Eisessen

dann fällt mir aber auf
dass nicht sie es sind, die lächeln
ich bins, die lächelt
sie antworten nur.

Die präzis kurzen, konkret-poet­isch ele­gan­ten oder bal­laden­haft ausufer­n­den Gedichte, welche mit eige­nen sowie frem­den Zeich­nun­gen, Col­la­gen und grafis­chen Wort­wolken angere­ichert und ergänzt sind, ziehen einen durch The­men wie Acht­samkeit, soziales Bewusst­sein, Mut und Feigheit.

Im titel­geben­den, sehr lan­gen Gedicht geht es um die Angst, sich zu ver­lieren in der Gesellschaft. Woran sich manche Kinder in der Gesellschaft ver­lieren, kön­nte mit Hek­tik und Schnel­ligkeit beant­wortet wer­den, oder mit Unacht­samkeit („du weißt nicht, dass wir ger­ade sehr glück­lich sind“).

Aber die Dich­terin, die auch aus dem Türkischen über­set­zt, hat einige Hin­weise ver­streut in ihren Zeilen, was man gegen die Ver­loren­heit set­zen kann. Es sind diese Zeilen, die auch junge LeserIn­nen ermuti­gen und leit­en kön­nen. Im Gedicht Du kannst alles selb­st heißt es: „der Weg für neues Leben begin­nt genau hier“ – und lässt die Suchen­den ein­er­seits nicht weglaufen, sich nicht im exter­nen, medi­alen „ver­lieren“, ander­er­seits nimmt es auch die Angst in ein­er zer­ris­se­nen Zeit.

Allerd­ings: eins möchte man nicht, wenn man über Gedichte von Safiye Can spricht oder schreibt – zu viel ver­rat­en oder weg­nehmen, vor-interpretieren.

Am lieb­sten: Hinge­hen, Safiye Can live erleben, und: Selb­st lesen!

Safiye_Can-Kinder-d-v-GesellschaftLesun­gen der Autorin:
14.10.2017 um 18.00 Uhr Offen­bach, Ali­ce­platz
Lesung im Rah­men des Fes­ti­vals »StadLe­sen«
27.10.2017 um 20.00 Uhr Frank­furt, Roman­fab­rik, Hanauer Land­straße 186
Lesung im Rah­men der »Lan­gen Frank­furter Lyriknacht«
10.11.2017 um 19.00 Uhr Bre­men, Kul­tur­saal der Arbeitnehmerkammer,
Bürg­er­str. 1, Lesung
Mod­er­a­tion: Katrin Krämer
23.11.2017 um 19.00 Uhr Mat­ters­burg (A), Lit­er­aturhaus, Brun­nen­platz 4
Lesung

Safiye Can
Die Kinder der ver­lore­nen Gesellschaft
Wall­stein Ver­lag, Göt­tin­gen 2017
Safiye Can: „Kinder der ver­lore­nen Gesellschaft“ bei amazon

Cov­er­ab­bil­dung © Wall­stein Verlag