Interview Literatur & Tscherkessen 2015
Safiye Can wurde als Kind tscherkessischer Eltern in Offenbach am Main geboren. Sie absolvierte das Studium der Philosophie, der Psychoanalyse und der Rechtswissenschaft an der Goethe Universität in Frankfurt am Main. 2011 erlangte sie den Magister Artium als Jahrgangsbeste. Seit 2013 arbeitet sie u.a. als Kuratorin der Zwischenraum-Bibliothek „Heimatkunde“ der Heinrich-Böll-Stiftung im Bereich Literatur, Film und Musik.
Ihre Arbeitsgebiete sind Lyrik (darunter auch visuelle und konkrete Poesie sowie Langgedichte), Prosa, literarische Übersetzungen und Collagen. Ihr Debüt „Rose und Nachtigall“, Liebesgedichte, wurde in kurzer Zeit zum Bestseller und befindet sich derzeit in dritter Großauflage.
inal Tamszuqo: Sehr geehrte Safiye Can, vielen Dank für dieses Interview. In der Einleitung habe ich Sie zwar schon kurz vorgestellt, aber mögen Sie unseren Lesern trotzdem noch kurz etwas über sich erzählen?
Safiye Can: Ich danke für das Interesse. Über sich selbst zu sprechen ist eine schwierige Angelegenheit. Ich fühle mich der Lyrik verbunden und versuche auch sonst in meinem Leben neben poetischen auch politische Akzente zu setzen.
Jinal Tamszuqo: Was hat Sie dazu gebracht, sich mit Lyrik und Prosa zu beschäftigen und was sind Ihre Themen?
Safiye Can: Das Interesse an kreativer Arbeit zeigte sich bei mir im Kindesalter. Lyrik und die Empfänglichkeit für Poesie ist etwas, das mir innewohnt. Ich war immer kreativ, doch braucht es für den Schreibprozess immer einen Auslöser. Dieser kam bei mir leider nicht durch die Schule, im Gegenteil, der Deutschunterricht entfernte mich von der Literatur. Der Auslöser für das Verfassen eigener Gedichte war ein Gedichtband, dass ich als Jugendliche zum Geburtstag erhielt. Damit begann alles. Von der Lyrik kam ich zur Prosa, wobei ich meine Prosa auch lyrisch und rhythmisch schreibe.
Meine Themen sind unterschiedlich. Die Texte unterliegen aber nicht selten einem philosophischen Grundgestus. Wenn man eingrenzen müsste, würde ich die Top 3 so nennen:
Liebesgedichte
Heimat und Identität
Gesellschaftskritische und politische Gedichte
Jinal Tamszuqo: Und wie kamen Sie zur visuellen Arbeit?
Safiye Can: Die visuelle und konkrete Poesie kam eher zu mir. Zum Einen habe ich von Kindesbeinen an gezeichnet und gemalt, das liegt gewiss in enger Verbindung mit meiner visuellen Poesie.
Der Baum
Zum anderen, zeigen sich mir in bestimmten Momenten wie in einer Vision Bilder, Wörter und Wortkonstellationen, die es dann in feinster, akribischer Arbeit umzusetzen gilt. Die visuelle, aber vor allem die konkrete Poesie ist eine ganz bestimmte Art des Betrachtens der Dinge, vor allem der Wörter und Wortkonstellationen, die sich einem im Alltag zeigen, die man aber anders wahrnimmt, als sie bspw. jemand wahrnimmt, der nur eine Anzeigetafel abliest.
Die konkrete Poesie ist etwas, das ich nicht ablegen kann, sie ist fortwährend da und wird immer ein Teil von mir bleiben.
Butterfly / Der Schmetterling
Jinal Tamszuqo: Sie bezeichnen sich auf Ihrer Internetseite als Kind von tscherkessischen Eltern. War das immer so? Wurden Sie schon immer als Tscherkessin wahrgenommen oder sah Ihr deutsches Umfeld Sie eher als Türkin?
Safiye Can: Ich bezeichne mich so, weil ich eine Tscherkessin bin. So sind die Fakten.
Einem großen Teil meiner Leser ist meine Herkunft unwichtig, so wie mir ihre Herkunft unwichtig ist. Wer meinen Lyrikband gelesen hat, kennt meine Wurzeln aufgrund der Vita. In der ersten Auflage steht es sogar hinten auf dem Buchcover. Dennoch glaubt die Mehrheit meines Umfelds, dass ich türkischer Herkunft sei. Mein Name und der Umstand, dass ich türkische Literatur ins Deutsche übersetze und sie einem großen Publikum vorstelle, macht es nicht einfacher. Die Presse schreibt meine Herkunft kontinuierlich falsch. Die deutschsprachige Presse stellt mich gerne als Deutsch-Türkin vor, die türkische Presse mit Nachdruck als eine in deutscher Sprache schreibende Türkin.
Alle Völker, die Gefahr laufen, ihre Sprache und Identität zu verlieren, sind verpflichtet ihre Herkunft zu erwähnen. Wenn ich zu einer Mehrheitsgesellschaft gehören würde, wäre mir die konkrete Erwähnung meiner Abstammung nicht wichtig, viele Menschen in Deutschland wissen aber nicht einmal, dass es ein Volk der Tscherkessen gibt. Umso mehr ärgert mich das Unverständnis der Menschen gegenüber Minderheiten, die ihre Identität nicht verleugnen. Es gibt bisher keine einzige Zeitung, die meine ethnische Zugehörigkeit richtig benannt hat. Man macht es sich in der Tat zu bequem.
Jinal Tamszuqo: Wie sehen Ihre weiteren Projekte aus?
Safiye Can: 16. Juli 2015 erscheint mein zweiter Lyrikband „Diese Haltestelle hab ich mir gemacht“ im Frankfurter Größenwahn Verlag. Ebenso erscheint in diesem Jahr mein erster Übersetzungsband „Im Herzen ein Kind in der Tasche ein Revolver“, den ich im elifverlag herausgebe. Ich freue mich schon sehr auf beide Publikationen.
Jinal Tamszuqo: In Ihrem Studium haben Sie sich auch mit Psychoanalyse beschäftigt. Das Thema der Identität spielt in der psychoanalytischen Theorie eine wichtige Rolle und die Ethnopsychoanalyse beschäftigt sich mit der ethnischen Identität. Mir persönlich kommt es so vor, als würde die tscherkessische Identität derzeit eine Art Mischidentität sein, mit originär tscherkessischen, aber auch türkischen, arabischen, russischen und islamischen Elementen. Wie würden Sie die tscherkessische Identität definieren? Gibt es Ihrer Meinung nach besondere Merkmale derselben?
Safiye Can: In der tscherkessischen Erziehung spielt Höflichkeit, die Achtung vor dem Alter und älteren Menschen eine tragende Rolle. Die Jungen werden dazu erzogen, Mädchen und Frauen mit Respekt gegenüber zu treten und sich überhaupt wie man im Deutschen sagt, wie ein Ehrenmann zu verhalten. Wenn man sich den tscherkessischen Tanz anschaut, erzählt dieser bereits eine Geschichte über eine typisch tscherkessische Haltung. Die Tscherkessen sind ein sehr altes Volk. Wenn früher eine Frau den Raum betrat, wurden Streitereien beendet. Da die Frau respektiert wurde, hatte sie, wie auch der sogenannte Ältestenrat, eine streitschlichtende Funktion.
Heute ist der 151. Jahrestag des Genozids an den Tscherkessen. 1,5 Millionen Tscherkessen wurden ermordet. Dass sich die Elemente unserer Lebensorte in unsere Lebenszyklen mischen, ist unvermeidlich. Allein 1864 wurden rund 500.000 Tscherkessen ins osmanische Reich zwangsdeportiert. In der Tat haben z.B., die in der Türkei lebenden Tscherkessen viele türkische Elemente übernommen. Und dennoch gibt es immer Verhaltensmuster und Traditionen der sozusagen indigenen Bevölkerung, die mit der tscherkessischen Lebensweise unvereinbar bleiben werden.
Jinal Tamszuqo: Zum heutigen Gedenktag an den tscherkessischen Völkermord und die Vertreibung, heutzutage spricht man von ethnischer Säuberung, durch das Zaristische Russland, findet dieses Jahr zum ersten Mal eine symbolträchtige Reise von Diaspora Tscherkessen zurück in die Urheimat statt. Die Reise wird mit Bussen durchgeführt und startet von Istanbul aus. Was denken Sie über diese Aktion?
Safiye Can: Ich wurde auch gefragt mitzufahren und habe überlegt aus Istanbul oder Samsun – also von der Schwarzmeerküste der Türkei aus, wo übrigens meine Familie größtenteils lebt – teilzunehmen, es kamen terminliche Verpflichtungen dazwischen. Die Organisation, jeder einzelne Teilnehmer, sowie die Busfahrt-Aktion selbst verdient den höchsten Respekt.
Tscherkessien umfasste ursprünglich große Gebiete der Schwarzmeerküste bis das zaristische Russland das Land annektierte.
Es ist wichtig ein Zeichen zu setzen, auch der Weltgemeinschaft zu zeigen, was dem tscherkessischen Volk widerfahren ist. In Deutschland wissen eine Menge Menschen nicht einmal etwas mit dem Begriff „Tscherkesse“ anzufangen, geschweige denn mit dem Völkermord an den Tscherkessen. Vielleicht ist es auch nicht allzu verwerflich, da sich viele Nachfolger der in die heutige Türkei zwangsumgesiedelten Tscherkessen als Türken bezeichnen.
Die tscherkessische Geschichte wird kaum beachtet; auch gibt es keinen Staat der Putin dazu auffordert, den Genozid einzugestehen. Es kann kein diplomatischer Druck auf Russland ausgeübt werden, weil es sich keiner mit einer regionalen Großmacht verderben will. Wir stehen so gesehen alleine da, verstreut in verschiedene Himmelsrichtungen. Das Alleinsein kann kompensiert werden, indem man sich zusammentut. Überhaupt sollten sich, wo und wann immer ein Unrecht stattfindet, alle Völker und Menschen zusammentun. Wir alle, die Vertreibung, Völkermord, Assimilationsdruck erfuhren und heute noch erfahren, erleiden, insofern wir nicht gänzlich dem Identitätsverlust unterliegen, den gleichen historischen Schmerz.
Es ist wichtig, dass der Genozid von den Russen anerkannt wird. Wir wollen eine Entschuldigung für das, was unseren Vorfahren und damit auch uns angetan wurde. Der Umstand, dass ich meine Gedichte nicht in meiner Muttersprache schreiben oder aus meiner Muttersprache ins Deutsche übersetzen kann, ist auf den tscherkessischen Genozid zurückzuführen. Der Umstand, dass ich einen türkischen Namen trage, ist auf eine weitgehende Assimilierung zurückzuführen. Ich urteile nicht nach der Religion oder der Herkunft eines Menschen, wir sind alle gleich. Dass ich dennoch auf meiner Website meine Herkunft erwähnen muss, ist auf den Genozid zurückzuführen. In dem „ist Kind tscherkessischer Eltern“ liegt so gesehen auch eine Wunde verborgen. Eine Wunde, die alle Völker, die vom Völkermord betroffen sind, allzu gut kennen.
Jinal Tamszuqo: Ich bedanke mich herzlich für dieses Interview und hoffe, Sie bei einer unserer nächsten Veranstaltungen einladen zu dürfen.
Safiye Can: Ich habe zu Danken. Ich komme natürlich, wenn es Halüj (Halüj ist ein tscherkessisches Teiggebäck, gefüllt mit tscherkessischem Käse.) gibt.
Werke der Autorin Safiye Can:
Werke:
„Rose und Nachtigall“, Liebesgedichte, Bestseller in 3. Großauflage, Größenwahn Verlag, Frankfurt am Main, 2014
„Das Halbhalbe und das Ganzganze“, Kurzgeschichte, Verlag Literatur Quickie, Hamburg, 2014
„Diese Haltestelle hab ich mir gemacht“, Gedichte, Größenwahn Verlag, Frankfurt am Main, 2015 (Erscheinungstermin: 16. Juni 2015)
Herausgeberschaft und Übersetzung:
„Im Herzen ein Kind in der Tasche ein Revolver“, Ataol Behramoğlu, ausgewählte Gedichte, zweisprachig, elifverlag, Nettetal, 2015 (Erscheinungstermin: Herbst)
Internetpräsenz: www.safiyecan.de